von Birgit Schleicher
Als Referentin im NABU Rhein-Erft-Kreis leitete ich viele Jahre vogelkundliche Wanderungen und ließ die Teilnehmer an meinem Wissen und meiner Bewunderung an den gefiederten Mitbewohnern der Erftaue rund um die Gymnicher Mühle teilhaben.
Vor neun Jahren bekam ich vom Rhein-Erft-Kreis, vertreten durch Herrn Geusen, den Auftrag, ein Vogelmonitoring an der Gymnicher Mühle und deren Umfeld in der Brutsaison 2010 durch zuführen.
Von Ende April bis Mitte Juni 2010 war ich frühmorgens mit Fernglas, Stift, Block, offenen Ohren und Augen unterwegs.
An der Ecke Heinrichstraße / Erftstraße in Gymnich ging es über die Autobahnbrücke hinunter in die Felder zwischen der Kleinen Erft und dem Erft-Flutkanal. Entlang deren Böschungsbepflanzung mit Blumen und Hecken turnen Blau- und Kohlmeisen, und auch die Mönchsgrasmücke lässt früh im Jahr ihren Gesang hören. Was in unseren Ohren so wohltönend klingt, ist eigentlich Kampfgeschrei, bei dem jedem Eindringling mitgeteilt wird, dass dieses Gebiet bereits besetzt und mit Schnabel und Krallen verteidigt wird. Die Vogeldamen hören allerdings daraus, dass da ein Männchen eine Partnerin sucht. Den Ruf der Kohlmeise und Blaumeise erkennen viele Menschen, den der Mönchsgrasmücke nur wenige.
Man erkennt recht gut, warum sie ihren Namen trägt, das Männchen hat ein schwarzes Käppchen auf, das Weibchen und die Jungvögel jedoch ein rotbraunes. Was aber hat der Mönch mit einer Grasmücke zu tun? Nun, es ist ein Name aus dem Mittelhochdeutschen: Gra heißt grau und smüken ? schmiegen. Es ist also ein graues Vögelchen, das sich mit einer Mönchskappe durchs Gebüsch schmiegt.
Richtung Gymnicher Mühle umranden dichte Heckenreihen mit Brombeergebüsch einen Teil des einst geplanten Golfplatzgeländes. Aus einem dichten, fast mannshohen Brennesselbestand höre ich die Stimmen von Amsel, Haussperling, Rauchschwalbe, Blaumeise, Fitis und Star!? Dazwischen stottert und stammelt es! Es ist der Sumpfrohrsänger mit seinen geklauten Vogelliedern! Experten haben die Imitationen von 212 anderen Vogelarten herausgefunden, darunter sogar von 113 Arten aus seinem afrikanischen Winterquartier. Da ist aber noch einer, der andere Vögel nachahmt, jedoch dazwischen rasselt wie ein alter Computer. Der Gelbspötter ist im ganzen Untersuchungsgebiet zehn Mal anzutreffen!
Zurück auf dem geteerten Weg erfreut mich der Gesang der Goldammer. Er soll Beethoven zum Anfang seiner fünften Symphonie inspiriert haben. Die Goldammer ist leicht zu finden, sie präsentiert sich gern auf den obersten Zweigen von Blumen oder Büschen. Ihr Nest baut sie allerdings direkt auf dem Boden. Trotz guter Tarnung verliert sie daher oft ihre Jungen an Marder, Hermeline oder Igel, aber auch an stöbernde Hunde. Deswegen ist es so wichtig, dass Hunde zur Brutzeit der Vögel angeleint werden. Gerade die Goldammer ist durch Flurbereinigung, Beseitigung von Hecken und Feldgehölzen in ihrer Lebensgrundlage bedrängt. Schon 2010 ging der Bestand nach unten und das hat sich fortgesetzt.
Auch der Fitis hat den weiten Weg aus seinem Winterquartier aus dem tropischen und südlichen Afrika geschafft. Seine Flugleistung über die 2000 km lange Überquerung der Sahara verdient unsere höchste Bewunderung.
Äußerlich zum Verwechseln ähnelt der Fitis dem Zilpzalp, der aber immer seinen eigenen Namen ruft. Selbst Fachleute können die beiden nur dadurch unterscheiden. Beide Vogelarten bauen ihr backofenförmiges Nest geschickt und gut getarnt z. B. im Brombeergebüsch oder direkt auf dem Boden.
Ich überquerte die Straße nach Brüggen und vor mir liegt der aufgegebene 2. Teil des schon landschaftlich modellierten Golfplatzes. Erst später wurde das wertvolle Gelände durch einen Zaun geschützt. Am Ufer der Kleinen Erft wuchs während meiner Kartierungsphase eine lange Pappelreihe (sie wurde zum größten Teil gefüllt). Ich suchte den Baumfalken, der Mitte April aus seinem Winterquartier in Südafrika erscheint, und sich spätestens Anfang Mai eines der verlassenen Krähennester in den Pappeln für sein Brutgeschäft aussucht. Die Rabenkrähen haben ihre Jungen längst groß gezogen, und so spart der Baumfalke Kraft und Zeit, wenn er nicht selbst noch einen Horst bauen muss.
Auf diesem Gelände ist auch eine Talsenke eingegraben, die allgemein als Canyon bekannt ist und zu meinem liebsten Beobachtungsgebiet gehörte. In der Regel wurde ich immer von Goldammer, Gelbspötter und Fitis begrüßt, und Rauchschwalben und Mauersegler in großer Zahl zischten über mir durch den Luftraum. Ich war jedoch auf der Suche nach dem Schwarzkehlchen, damals noch nicht so häufig, wie wir es heute antreffen. Es bevorzugt Brachflächen mit mittelhohen Büschen und sitzt gerne auf verholzten Stängeln oder Karden, von wo aus es singt. Das Nest baut es auch nahe am Boden in der Vegetation versteckt.
Auf dem Weg zurück erfreut der Gesang der Feldlerche, die zum Himmel aufsteigend ununterbrochen singt, selbst mit Futter im Schnabel - und so ihr Revier anzeigt. Auch damals war sie schon gefährdet, ich zählte aber noch drei Paare. Im Jahr 2019 ist sie schon zum zweiten Mal zum Vogel des Jahres gewählt worden, um auf ihre bedrohte Situation in den zu dicht aufwachsenden und mit schweren Erntemaschinen befahrenen Getreidefeldern aufmerksam zu machen.
Eine besondere Überraschung boten ein Stück des Wegs weiter zwei Paare Kiebitze, die dort versuchten ihre Jungen aufzuziehen. Leider wurden sie immer wieder von Rabenkrähen gestört. Ein Junges sah ich aufwachsen, im nächsten Jahr waren sie verschwunden. Auch Bachstelzen mit ihrem wippenden Trippelschritt fanden dort viele Insekten.
Im angrenzenden Gebiet um die Gymnicher Mühle, beim heutigen Wasserspielplatz, befand sich ein verwildertes Gelände, in der drei Nachtigallen mit ihrem lockenden Gesang um Weibchen warben. Über mir flogen zig Rauchschwalben auf erfolgreicher Nahrungssuche. Ihre Nester befanden sich in den verlassenen Wirtschaftsgebäuden, die zur Mühle gehörten und ideal waren für ihr Brutgeschäft.
Rechts des Wegs breitete sich eine Kiessenke aus, die von dichtem Gebsch gesäumt war. Mich interessierte eine Brombeerhecke, die sich mitten darin ausbreitete. Und tatsächlich, bei jedem Aufsuchen dieses Ortes konnte ich gut verborgen Schwarzkehlchen beobachten.
Ein Neuntöter beobachtete das Geschehen von einer erhöhten Böschung aus. Er baut seine Nester in Dornenbüschen, und spießt darin seine erbeuteten Insekten, aber auch Mäuse und Eidechsen als Vorrat auf.
Auch Bluthänfling, Fitis, Goldammer und der Gelbspötter fanden dort Nahrung und sangen unüberhörbar.
Zwei Turteltauben, die zum Vogel des Jahres 2020 gekürt wurden, waren in der angrenzenden Türnicher Kiesgrube regelmäßg zu hören.
Laut der neuen Liste im NABU-Info 2019 sind insgesamt 79 Vogelarten in der Erftaue dokumentiert. Dies ist dem Schutz dieses Gebietes mit seinen unterschiedlichen Biotopstrukturen zu verdanken. Die geplante Erftverlegung mit neuen Biotopstrukturen kann sich durchaus positiv auf die Artenvielfalt der Brutvögel des Offenlandes auswirken und wird mit Spannung verfolgt.