Das Übersehene Knabenkraut (Dactylorhiza praetermissa) und seine spätblühende Varietät: junialis.

von Wolfgang E. Melenk

Das Übersehene Knabenkraut var. junialis Bild: Wolfgang E. Melenk
Das Übersehene Knabenkraut var. junialis Bild: Wolfgang E. Melenk

Wolfgang E. Melenk ist seit Anfang 2009 als ehrenamtlicher Mitarbeiter im Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn tätig. Seit 2014 ist Melenk mit der Ermittlung der Vorkommen heimischer Orchideen in Nordrhein-Westfalen (Schwerpunkt Eifel) und die ihrer möglichen Bestäuber beschäftigt; einschließlich Abgleich, welche bereits in den hauseigenen Sammlungen des Museum Koenig im Bestand geführt werden.

Ab 2016 ergab sich die Mitarbeit beim Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn (Prof. Dr. Dietmar Quandt). Nach Maßgabe behördlicher Genehmigungen wurden Orchideen-Arten in ausgewählten Habitaten entnommen, dokumentiert und den Herbarien in Bonn und Berlin zur DNA-Analyse überstellt.

 

Das Übersehene Knabenkraut, Dactylorhiza praetermissa (DRUCE)SOÓ, wird im Verbreitungsgebiet Nordrhein-Westfalen ausführlich beschrieben, deren Verbreitung, Bestandssituation, Hybriden, Variabilität und Gefährdung.

 

Namensgebung

 

In der Gattungs-Bezeichnung Dactloryhiza steckt das griechische Wort für dactylos = Finger und rhiza für Wurzel und bezieht sich auf die charakteristischen, handförmigen Wurzelknollen. Die Art-Bezeichnung ((Epitheton) praetermissa, kommt von praeter-mito und bedeutet übersehen.

Damit wollte DRUCE (1914) darauf aufmerksam machen, dass die Sippe schon längere Zeit bekannt ist, aber wegen der hochgradigen Verwechslungsgefahr (z.B. vorwiegend mit Dactylorhiza majalis und Dactylorhiza maculata) bis dahin nicht als eigenständige Art erkannt wurde (BAUMANN et. al. 2005:326).

Dieses Übersehen resultiert aus verschiedenen Gründen, weil die Art relativ schwer zu bestimmen ist, denn viele Angaben östlich des Rheins und mehrere Angaben vom nördlichen Eifelrand, beruhen höchstwahrscheinlich auf Verwechslungen mit örtlichen, stabilisierten Natur-Hybridpopulationen. Also aus Pflanzen mit einem ähnlichen Erscheinungsbild, ohne Beteiligung von Dactylorhiza praetermissa oder solchen von Natur-Hybridpopulationen von Dactylorhiza praetermissa und Dactylorhiza maculata. An mehreren Fundorten wurde innerhalb einiger Jahre, die reine Dactylorhiza praetermissa durch Dactylorhiza verdrängt. 

Dactylorhiza ist eine atlantische Art, die in der Nordeifel und am westlichen Niederrhein die Ostgrenze ihrer Verbreitung erreicht.

 

Erscheinungsbild

 

In Nordrhein-Westfalen tritt die Art in zwei Varianten auf: die Normal-/Nominat-Form mit ungefleckten Blättern und einer aus kleinen Strichen und Punkten bestehenden Lippenzeichnung (Dactylorhiza praetermissa var. praetermissa) und mit der Varietät Dactylorhiza praetermissa var. junialis(spätblühendes Übersehenes Knabenkraut), eine kräftige, geflecktblättrige Form mit einem auffälligen Schleifenmuster auf den Blütenlippen.

Eine ähnliche Blattfleckung gibt es bei einigen Hybridpopulationen, teils unter Beteiligung von Dactylorhiza praetermissa, teilweise aber auch weit abseits des Areals der Art, so dass Dactylorhiza praetermissa dort mit ziemlicher Sicherheit nicht mit eingekreuzt ist. Dactylorhiza praetermissa blüht in Nordrhein-Westfalen etwa von Anfang bis Ende Juni. Die Art blüht nach Dactylorhiza majalis (Breitblättriges Knabenkraut) und vor Dactylorhiza fuchsii (Fuchs´ Knabenkraut) und Dactylorhiza maculatat (Geflecktes Knabenkraut). Die Varietät junialis blüht in der Abblühphase der Nominatform Praetermissa ssp. praetermissa (Übersehenes Knabenkraut). Diese Überschneidung macht die taxonomische Unterscheidung oftmals so schwierig.

 

Verbreitung/Bestandssituation

 

Wegen der speziellen Standortansprüche (sonnig, Sumpfwiesen, Kalkflachmoore, Gräben, nasse Staudenfluren, Gewässerufer) sind die wenigen Vorkommen alle schützenswert und durch permanente Pflegemaßnahmen zu stabilisieren. Auch in dichten, hochwüchsigen und mäßig nährstoffreichen Grünlandschaften kann das Übersehene Knabenkraut wachsen. Dort kann die Art trotz ihrer stattlichen Größe übersehen werden kann.

Bei Ellenberg et. al. 2001 werden für das Übersehene Knabenkraut folgende Zeigerwerte angegeben: Lichtzahl 9 (Volllichtpflanze), Temperaturzahl 5 (Mäßigwärmeanzeiger), Feuchtezahl 9 (Nässezeiger), Reaktionszahl 8 (Schwachsaure bis Schwachbasenzeiger bis Basen und Kalkzeiger), Stickstoffzahl 2 (stickstoffärmste bis stickstoffarme Standorte anzeigend).

Die nachfolgende Auflistung erhebt keinen aktuellen Anspruch auf Vollständigkeit, da in dem „tropischen“ Sommer 2018 einige Biotope erheblich an mangelnder Feuchtigkeit gelitten  haben:

F euchtwiese südöstlich von Baasem ; Bürvenicher Berg und Tötschberg sowie Berg- und  

Mausbach; Baasemer Heide (Mäusnest); Erfttal zwischen Kreuzweingarten und Stotzheim; Kerpener Bruch sowie die südlich angrenzenden Freiflächen und ehemaligen Ausgrabungsbereiche; Friesheimer Busch; Fürstenbergmaar; Waldseenbereich Theresia; Königsdorfer Forst; Nordfeldweiher; Ginnicker Bruch; Knauheide; Hönnetal; An der schwarzen Brücke; Emsdetter Venn; Metelen, Strönfeld; Füchte Kallenbeck; Emsaue; Ülzener Heide, Mühlhauser Mark.

 

Gefährdung

 

Die größte, „schleichende“ Gefährdung liegt in der seit Jahren zu beobachtenden Entwicklung der Verdrängung des Übersehenen Knabenkrautes (nomen est omen) durch die Verwandtschaft: Breitblättriges Knabenkraut (Dactylorhiza majalis), Dactylorhiza maculata (Geflecktes Knabenkraut), Fuchs´ Knabenkraut (Dactylorhiza fuchsii) und Fleischfarbenes Knabenkraut (Dactylorhiza incarnata).

Ein weiterer Gesichtspunkt sind die Ansprüche an das Habitat (Sumpfwiesen und Kalkflachmoore, Gräben, nasse Staudenfluren, Gewässerufer), die immer über ausreichend Feuchtigkeit verfügen müssen.

Hinzu kommt die Forderung nach permanenten Pflegemaßnahmen wie Beweidung, Mahd, Entbuschung, die oftmals am Mangel an Personal und Gerätschaften nicht rechtzeitig oder nicht kontinuierlich durchgeführt werden können. In Nordrhein-Westfalen wird das Übersehene Knabenkraut in der Roten Liste in 2 (stark gefährdet) eingestuft. 

 

Wie ein Orchideen-Kleinod geschaffen wird – und erfolgreich erhalten:

Zur Arbeit der Naturschutz und Landschaftspflegestation (LPS): NABU Rhein-Erft

 

Alles begann im Jahre 2003 mit der Anmeldung eines landwirtschaftlichen Betriebes, um die Übernahme einer Schaf- und Ziegenherde betreiben zu können. Im Hintergrund dieser „Formalie stand die Voraussetzung, dass man Mittel aus dem Vertragsnaturschutz/Kulturlandschaftsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen (KULAP) beantragen konnte, ohne die der NABU-Kreisverband,  im Sinne des Naturschutzes Pflegemaßnahmen wirtschaftlich nicht hätte stemmen können“.

„Ziel des KULAP-Programms – und damit Aufgabe der LPS – war und ist die dauerhafte Erhaltung, Wiederherstellung und Verbesserung der Lebensgrundlagen von gefährdeten oder bedrohten Tier- und Pflanzenarten (hier: Orchideen) und die Verhinderung einer für den Naturhaushalt schädlichen Entwicklung“.

In Friesheim lag der Fokus im Naturschutzgebiet des ehemaligen belgischen Munitionsdepots im Friesheimer Busch. Die Ergebnisse der jahrelangen Arbeit der Landschaftspflegestation (LPS) können sich sehen lassen. So wird wohl im Naturschutzgebiet „Ehemaliges Munitionsdepot im Friesheimer Busch“ in 2018 die Gesamtzahl von Orchideen (verschiedene Arten Knabenkraut) über die vorjährige Anzahl von ca. 3.000 blühenden Exemplaren hinausgehen. Damit ist dieses Areal eines der mit höchstem Bestand in Nordrhein. 

Auch 2019 werden Führungen auf dem Gelände für naturinteressierte Bürger angeboten, um ihnen die biologischen Besonderheiten und Raritäten (z.B. das Übersehene Knabenkraut: Dactylorhiza praetermisse und ihre Varietät: spätblühendes Übersehenes Knabenkraut (Dactylorhiza praetermissa var. junialis)in ihrer natürlichen Umgebung zu zeigen.

 

Schlussbetrachtung

 

Allein in der Eifel gibt es ca. 1.200 Habitate mit Orchideen-Vorkommen. Diese Daten ermöglichen eine Einschätzung des technischen und personellen Pflegeaufwands dieser Gebiete. Ein bis in die Zukunft unbewältigtes Problem für den Erhalt der Orchideen-Bestände und erst recht möglicher Ausbreitung, wie es so beispielgebend von der NABU-Station Rhein-Erft bewiesen wird.

Gefordert wird die praktische Umsetzung des Naturschutzes ausgehend von den politischen Ebenen bis zu den behördlichen Instanzen, damit die Rarität Orchidaceae weiterhin Bestand in Nordrhein-Westfalen hat und die möglichen etwa 200 verschiedenen Bestäuber nicht auch weiterhin unter dem Stichwort Insektensterben geführt werden.

Für Dactylorhiza praetermissa und ihre Varietät werden in der Fachliteratur leider nur allgemein Bienen und Hummeln als Bestäuber angegeben. Hier wäre eine akribische Feldarbeit (z.B. mit Flash-Cameras) von Nöten, um artenspezifische Bestäubungs-Vorgänge . (NABU Info 2019)