Es ist wieder einmal Zeit ein Resümee zu ziehen und einen Ausblick zu wagen.
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat der Bundeskanzler von einer eingeleiteten
Zeitenwende gesprochen. Dabei waren wir im Februar 2022 in einer solchen schon mittendrin. Nichts war mehr wie vorher.
Klimakatastrophe, Verlust der Biodiversität und Coronapandemie deckten weltweit brutal Schwächen
und Versäumnisse auf. Wir befinden uns in einer Zeitenwende - von 5 Minuten vor 12 Uhr bis 5 Minuten
danach - ob wir wollen oder nicht.
Die russische Invasion hatte bei dieser Entwicklung - so grausam das auch ist - eher eine Katalysatoren-
Funktion. Katastrophen und Kriege legen Fehlentwicklungen brutal offen.
Nachhaltiges Wirtschaften und den Ausstieg aus der fossilen Kohlenstoffwirtschaft hatte die
Weltgemeinschaft in Anbetracht der absehbaren Entwicklung bereits 1992 in Rio und Paris 2015
beschlossen.
Viele haben ab 1992 mit großem Engagement in Lokalen u.a. Agenden daran mitgearbeitet. Leider sind
viele der damaligen Anstrengungen auf lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Ebenen
verpufft. So auch leider in Erftstadt und dem Rhein-Erft-Kreis.
Das hat uns im Sommer 2021 mit ganzem Schwung eingeholt. Der Schock durch Personen- und
Sachschäden war groß. Heute - eineinhalb Jahre nach der Flut - sind viele Schäden beseitigt, aber mit
der Ursachenbeseitigung wurde nur sehr zögernd begonnen. Stattdessen ist eine Flutamnesie auf fast
allen Ebenen zu beobachten. Eine Kölner Hochwassermanager hat einmal gesagt: ‚um wirklich etwas
zu bewirken, müsste es alle drei Jahre ein Jahrhunderthochwasser geben.‘
Auf der Ebene der Planung diskutiert man immer stärker die Schwammstadt, d.h. Siedlungsbereiche,
die bei Starkregenereignissen Wasser speichern und in Hitze- und Trockenzeiten dieses Wasser zur
Kühlung zur Verfügung stellen. Das Instrument ist vollkommen richtig, aber erstens ist Diskussion noch
lange nicht Umsetzung und zweitens entsteht nur ein Teil des Starkregenabflusses in den Siedlungen.
Gerade bei uns, in der Randlage der Börde wurden seit ungefähr zwei Jahrhunderten Waldstandorte
in Ackerflächen umgewandelt. Staunasse Böden wurden drainiert, damit das Regen-wasser möglichst
schnell abfließt. Die Auswirkungen haben wir von Friesheim bis Blessem erlebt.
Wir brauchen neben Schwammstädten auch möglichst schnell wieder Schwammlandschaften!
Vermutlich lassen sich aus Planungs- und Umsetzungsgründen Schwammlandschaften (Wälder und
Moore) schneller realisieren als Schwammstädte.
Dazu sind aber für die Land- und Forstwirte attraktive Angebote im Rahmen von Agrarsubventionen
erforderlich. Solange aber über Agrarsubventionen Pflichtleistungen zur Bodenrekultivierung (RWE)
und landwirtschaftliche Freilandforschung (Bayer) hoch gefördert werden, fehlt dieses Geld an der
Klimaschutzfront.
Das Abschalten und Sprengen von North Stream I hat unsere einseitige Energieabhängigkeit
offengelegt. Solche Abhängigkeiten gibt es aber auch bei Medikamenten, Solarmodulen und vielen IT-
Artikeln, und auch bei LNG-Gas sind wir auf dem Weg in diese Richtung.
Aus der Energiekrise kommen wir nur raus, wenn wir die für uns verfügbaren erneuerbaren Energien
sinnvoll nutzen. Das wissen wir seit über 20 Jahren (Hermann Scheer, Ernst Ulrich von Weizsäcker,
Wuppertal Institut etc.). Anfang des jetzigen Jahrhunderts waren viele euphorisch. Zeitweise wurden
1/3tel der weltweit produzierten Fotovoltaikanlagen in Bayern montiert. Damals gab es in Deutschland
noch weltweit agierende Solaranlagenhersteller. Das hat sich in den letzten 20 Jahren grundlegend
geändert. Solarmodule kommen inzwischen aus China und unsere Windradhersteller (Enercon etc.)
kämpfen ums Überleben.
Der Verlust russischen Erdgases hat punktuell zu einer Planungsbeschleunigung geführt. Die Zeiten-
wende hat das ‚LNG-Terminal-Tempo‘ geschaffen, mit dem für sechs Milliarden Euro innerhalb von 10
Monaten in Bremerhaven ein schwimmender Flüssigerdgas-Hafen gebaut wurde.
Bei Windrädern, Fotolyse-, Fotovoltaik- und Solarthermieanlagen merkt man allerdings von dieser
Beschleunigung noch nicht allzu viel. Seit 2 Jahren gibt es in Erftstadt einen gültigen Flächen-
nutzungsplan, der auf der Grundlage des NRW-Energieatlas (LANUV NRW) Vorrangflächen für
Windenergie ausgewiesen hat. Es steht noch kein einziges neues Windrad!
Ähnliches gilt für die Fotovoltaik, sowohl bei Dach- wie auch bei Freiflächenanlagen. Der Rhein-Erft-
Kreis war der erste Kreis in NRW, der ein Dachflächenkataster im Internet veröffentlich hat, in dem
jeder Hausbesitzer Infos genau zu einer PV-Dachnutzungsmöglichkeit abfragen kann. Seit mehreren
Jahren hört man darüber nichts mehr und auch auf der Internetseite des Kreises muss man länger
danach suchen. So sieht eine lokale, zukunftsfähige Energiepolitik sicherlich nicht aus!
Zurück zum LNG: Die kurzfristige Kompensation des russischen Erdgases durch LNG ist nur dann richtig,
wenn parallel dazu -und nicht irgendwann einmal- die Nutzung erneuerbarer Energien massiv nach
vorne getrieben wird. Heute bauen wir mit großem Aufwand viele LNG-Terminals und schließen
weltweit über Jahrzehnte laufende Lieferverträge ab, u.a. auch mit den Arabischen Emiraten und Katar
(war da nicht mal was mit Menschenrechten? – ich glaube in direkten Zusammenhang mit der WM
einer Ballsportart).
Parallel dazu tauchen aus den unendlichen Tiefen des geistigen Universums als überwunden gedachte
Techniken wieder auf: Fracking, Atomkraft und Kernfusion
Deutschland hat sich bereits vor über 10 Jahren bewusst gegen Fracking entschieden. Unabhängig
davon, dass es eine Fortführung der Nutzung fossiler Kohlenstoffenergien ist, sind vermutlich die zu
erwartenden Schäden nicht kalkulierbar. Mit dem Aufbau einer Fracking-Förderung würde man den
Ausstieg aus der Nutzung fossilen Gases auf Jahrzehnte zementieren. Dagegen spricht auch nicht die
kurzfristige Nutzung amerikanischen Erdgases, das über Fracking gewonnen wird.
Wie man in Frankreich sieht, dient ja die Atomkraft - dort gemanagt durch die staatliche Energie-
gesellschaft EDF - gerade nicht zur Sicherstellung einer stabilen Energieversorgung. Die muss zurzeit im
Rahmen der europäischen Verbundnetze nicht zuletzt über deutsche Braunkohlekraftwerke erfolgen.
Mit einem Weiterbetrieb -über den Streckbetrieb hinaus- der AKW’s ist der Neueinkauf von Kern-
brennstoff (vermutlich aus Russland) erforderlich! Trotz aller Versuche ist das Endlagerproblem noch
nicht ansatzweise gelöst. Die Schweiz verfolgt zumindest einen Interessanten Ansatz in direkter Nähe
zur deutschen Grenze. Die weitere Diskussion wird sicherlich spannend.
Kernfusion ist eine tolle Sache! In der Sonne funktioniert sie prächtig. Von den Ergebnissen profitieren
wir seit dem Beginn der Erde. Alle unsere fossilen und erneuerbaren Energien gehen auf sie zurück.
Nach den astronomischen Vorhersagen geht das auch noch so, bis ‚kurz‘ vor dem Ende unseres
Planeten. Was soll es nützen, diesen Prozess unter hohem technischem und energetischem Aufwand
auf die Erde zu holen? Ich will damit nichts gegen die wissenschaftliche Erforschung des Prozesses zu
einem besseren Verständnis gesagt haben.
Für wie dumm halten eigentlich einige Politiker die Bürger*innen?
Was wir brauchen, ist eine schnelle. sinnvolle und flächendeckende Nutzung der uns unentgeltlich zur
Verfügung stehenden erneuerbaren Energien. Nur so können wir uns schnell unabhängig machen von
Öl und Gas aus Russland und anderen diktatorischen Terrorstaaten.
Eine Solardachpflicht auf allen Gebäuden kommt, wenn überhaupt, nur sehr verzögert. Eine Firma aus dem Bergischen präsentierte im Herbst Solardachziegel, die sogar vom Bundespräsidialamt für Schloss Bellevue angefragt werden (WDR 31.10.2022). Wo sind hier die staatlichen Fördermillionen, die zurecht bei BIONTEC und anderen Coronaimpfstoffherstellern zügig geflossen sind? Das wäre zukunftsfähige Wirtschaftsförderung!
Permanent wird im Rahmen der Energiekrise darüber geklagt, dass die Stromautobahnen vom Norden
(Offshore-Windenenergie) nach Süden (BMW etc.) nicht schneller fertig werden. Dies ist aber nur die
halbe Wahrheit. Das Grundproblem liegt in einem falschen Denkansatz:
An den Orten des Verbrauchs (Wohnhäuser, Industriebetriebe etc.) muss angesetzt werden.
Energieautarke Wohnhäuser und selbstversorgende Industriebetriebe brauchen Stromnetze ‚nur
noch‘ zum Ausgleich von Unter- oder Überschüssen. Sonne, Erdwärme und Wind stehen ausreichend
zur Verfügung. Die Windanlagenfirma Enercon zeigt in Aurich und Emden, wie man auch in
Industriegebieten Windenergie nutzen kann. Hallen- und Bürohausdächer sind immer genügend
vorhanden.
Der Ansatz ‚Verbraucher‘ führt auch gleichzeitig zu individuellen Denk- und Lösungsansätzen bei
Energierückgewinnung und -einsparung.
Meiner Meinung nach der größte politische Fehler, der in diesem Rahmen gemacht wurde, ist die
Befreiung energieintensiver Unternehmen von Zahlungen im Rahmen des Erneuerbaren- Energien-
Gesetzes (EEG). Eine Verpflichtung, diese Zahlungen mit Maßnahmen zur Energieeinsprung und dem
Einsatz erneuerbarer Energien zu verrechnen, hätte sicherlich zu einem Innovationsschub geführt.
Vermutlich wären schon damals Stahlwerke auf grünen Wasserstoff aus Windgas umgestellt worden.
Dies müssen wir -nach dem schrecklichen Katalysator Ukraine-Krieg- nun mühsam nachholen.
Die Nutzung erneuerbarer Energien ist, wie jegliche Nutzung, mit Einflüssen auf Natur und Umwelt
verbunden. Wieder ein Ansatzpunkt, um Sand ins Getriebe zu werfen!
Aber: ohne erneuerbare Energie stellen Dürren, Überflutungen etc. einen noch größeren Einfluss auf
Natur und Umwelt dar. Wir haben also keine Wahl!
Parallel zur Entwicklung der Windenergieanlagen wurden -durch den Druck des Natur- und
Artenschutzes- Techniken entwickelt, die die Einflüsse auf insbesondere die Tierwelt minimieren
(Abschaltalgorithmen bei Fledermausflügen bzw. zum Schutz von Greifvögeln).
Erneuerbare Energie und Natur- und Artenschutz passen zusammen! Wir müssen sie zusammen
denken!
Der Ukrainekrieg hat eine neue Flüchtlingswelle ausgelöst. Dabei ist die Flüchtlingswelle, die 2015
begonnen hat, noch immer nicht abgeebbt. Durch die prognostizierten Klimaänderungen wird
vermutlich eine noch größere Völkerwanderung ausgelöst. Darauf müssen wir uns vorbereiten.
Zwei große UN-Konferenzen haben das Jahr 2022 geprägt:
Weltklimakonferenz in Sharm El-Sheikh im November 2022
Vermutlich ist sie deutlich hinter den erwarteten Ergebnissen zurückgeblieben. Aber sie hat monetäre
Verantwortlichkeiten aufgezeigt. Leider waren die größten Klimagas emittierenden Staaten (Russland
und China) nicht durch ihre Präsidenten vertreten. Auf der EU-Ebene wurde angeregt, die
klimaschützende Wirkung von Mooren und Wäldern stärker zu berücksichtigen.
Übrigens: am letzten Tag des Jahres 2022 hat das Thermometer in Nörvenich 18,5 Grad gezeigt, das
war in NRW der heißeste Sylvester seit Beginn der Aufzeichnungen.
UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal im Dezember 2022
Man einigte sich auf die Unterschutzstellung von 30 % der Erd- und Meeresfläche Offiziell haben wir
diesen Stand in Deutschland erreicht. Aber nur dadurch, dass wir alle mit öffentlichen Mitteln
durchgeführte Anpflanzungen unter Landschaftsschutz stellen. Die betrifft dann auch das komplette
Straßenbegleitgrün an Autobahnen und anderen Straßen. Hier müssen wir ehrlicher werden und
Natur- und Artenschutz auf geschützten Flächen wirklich ernst nehmen.
Vor ein paar Tagen wurde im Umwelt- und Naturparkzentrum die Fortsetzung der von der Familie von
Ley initiierten Aktion ‚1000 Bäume für Erftstadt‘ mit ministerieller Hilfe aus Düsseldorf verkündet. Das
ist der richtige Weg in die richtige Richtung!
Kurz vorher ist die Umweltbildungsarbeit im Zentrum durch die erneute BNE-Zertifizierung (Bildung
für nahhaltige Entwicklung) bestätigt worden. Die BNE-Arbeit ist eingebunden in das BNE-
Regionalzentrum des Naturparks Rheinland. Allen Akteuren dafür meine Anerkennung. Leider ist eine
wichtige Akteurin, die ‚Mutter‘ des Waldwichtels, Erika Siebrasse plötzlich verstorben. Sie hat als
Kindergärtnerin, im Haus der kleinen Forscher und mit dem Waldwichtel Kinder für Natur und Umwelt
begeistert. Sie war, ebenso wie auch die in den letzten Jahren verstorbenen Dörte Schlesinger und
Armin Duchatsch, maßgeblich am Aufbau der Bildungsarbeit im Umweltzentrum beteiligt. Wir
behalten sie stets in Erinnerung.
Zuletzt noch ein paar Worte zu mir:
Ich habe mich -bereits Ende 2021- entschlossen, zukünftig meine Arbeitsschwerpunkte auf zwei
Bereiche zu konzentrieren:
Luchs- und Wolfsberater bei der LANUV NRW
Die 2019 gemeinsam mit dem NABU 2019 durchgeführte Veranstaltung ‚Willkommen Wolf‘ hat mir
gezeigt, wie wichtig es ist, das Verständnis und die Akzeptanz für Tierarten, die zu uns zurückkehren
zu fördern. Bei der Wolfsveranstaltung konnte ich am Ende der Podiumsdiskussion zusammen-fassend
schließen: „Der Mensch gehört zwar nicht zum Beutespektrum des Wolfes, aber ab und zu müssen wir
ihn auch daran erinnern.“ Die Probleme, die mit einer solchen Rückkehr verbunden sind, müssen klar
angesprochen und auch soweit möglich gelöst werden. Dazu ist vor allem ein realis-tischer Umgang
mit dem Rückkehrer angesagt. Dabei möchte ich gerne mithelfen.
Rehkitzrettung
Bereits seit mehreren Jahren unterstützt die Kreisjägerschaft Landwirte bei dem Schutz von Reh-kitzen,
Hühnervögeln und Hasen vor dem Ausmähen. Zuerst mit akustischen Hilfsmitteln und seit dem
vergangenen Jahr mit einer Drohne. Dabei geht es auch um Lebensraumschutz. Fast 50% unseres
Bundeslandes werden landwirtschaftlich bewirtschaftet. Wir brauchen Lebensraumschutz auf der
gesamten Fläche. Dazu ist eine starke Allianz zwischen Landwirten und Jägern erforderlich. Da ich in
dieses Projekt seit Beginn der Aktivitäten involviert bin, möchte ich mit dazu beitragen, ein kreisweites
‚Rettungsnetz‘ zu etablieren.
Ich wünsche Ihnen/Euch allen ein friedlicheres, innovatives und erfolgreiches 2023. Wir haben es -
allerdings nicht mehr lange- in der Hand, in welche Richtung sich unsere Erde entwickelt.
Gelingt uns -mit dem Wissen, dass wir nur diese eine Erde haben, eine nachhaltige Lebensführung,
oder machen wir unwiederbringlich durch den Beginn des Sterbens unserer Art, den Weg frei aus dem
Anthropozän in eine neue Erdzeitepoche, allerdings dann ohne den Homo sapiens.
Aber ein Apfelbäumchen würde ich trotzdem noch pflanzen!
Grüße zum Jahresanfang aus Köttingen
Hans-Joachim Kühlborn